Milchkühe, Delfine, Bergleute in China, Flüchtlinge in Sachsen, Kulturzentrum in Buxtehude, Klassik im Bayerischen Rundfunk, Plastikverpackungen bei Werbesendungen der Deutschen Post - was?
Neu im App-Shop: Petitionen tindern!

Echt, ich mag Kühe. Tiere überhaupt. Aber als neulich wieder jemand Online-Unterschriften sammelte, um das Schicksal von Milchkühen zu verbessern und mit dem Satz endete »Herzlichen Dank im Namen der Kühe!« war bei mir Schluss. Was kommt als Nächstes? Herzlichen Dank im Namen der Wale, der Gletscher, der Regenwälder? Warum nicht gleich im Namen Gottes? Oder besser: der Götter?
Längst kommen jeden Tag mehrere Online-Petitionen ins E-Mail-Postfach geflattert über Avaaz oder Change.org für globale wie lokale Anliegen, und es läuft, wie es halt bei so was immer läuft: Am Anfang liest man noch alles brav durch und unterschriebt auch fast alles – mittlerweile ist es eher wie Tindern: Milchkühe - nein, Delfine - ja, Bergleute in China - nein, Flüchtlinge in Sachsen - ja, Kulturzentrum in Buxtehude - hm, Klassiksendungen im Bayerischen Rundfunk - pff, Plastikverpackungen bei Werbesendungen der Deutschen Post - was?
Ganz abgesehen von einer gewissen Unterzeichnungsmüdigkeit, kann mir doch keiner erzählen, dass solche Sammlungen noch ernst genommen werden. Wo und bei wem landen die Dinger denn? Im Petitionsausschuss des deutschen Bundestages? Der war gut, da könnte man sie auch gleich der FIFA schicken. In diesem Ausschuss findet sich kein einziger prominenter Abgeordneter, geleitet wird das Gremium von den No-Names Kerstin Steinke (Die Linke) und dem CDU-Abgeordneten Gero Storjohann, der nicht mal irgendwo im Aufsichtsrat rumhängt, sondern lediglich Mitglied des Tennisclubs Seth e.V. von 1967 ist. Also, nichts gegen Tennisspieler, aber seitdem ein verletzter Klepper mehr Aufmerksamkeit bekommt als das komplette Davis-Cup-Team (und auch mehr Geld kostet), ist die Relevanz des weißen Sports in Deutschland doch ziemlich vernachlässigbar...
Apropos: Wetten, dass demnächst eine Petition kommt, die sich für einen angenehmen Lebensabend von Totilas einsetzt? Sie wissen schon, das teuerste Pferd der Welt, die späte Rache der Niederländer für das WM-Finale 1974? Für locker zehn Millionen Euro von Holland nach Deutschland verkauft und nun wegen Verletzungsanfälligkeit aufs Altersteil abgeschoben, mit einem Wikipedia-Eintrag, der dreimal so lang ist wie der von Kerstin Steinke und Gero Storjohann zusammen. Dessen zukünftiges Schicksal als ausgebeuteter Deckhengst kann uns natürlich nicht gleichgültig lassen. Womit wir wieder bei den Milchkühen wären, diesmal den glücklichen. Denn kaum sind sie glücklich – da sind sie uns Menschen ganz ähnlich -, sind sie auch schon wieder zu laut. Die Kuhglocken sind mal wieder in der Diskussion, Aktivisten wollen den Viechern jetzt GPS-Chips stattdessen andrehen, die Petition ist vermutlich in Arbeit.
Alter Schwede, gibt es denn wirklich nichts Wichtigeres? Ich werde das Gefühl einfach nicht los, permanent für blöd gehalten und für dumm verkauft zu werden. Das Allerschlimmste ist freilich, dass sich die Leute offensichtlich daran gewöhnen. Und dank des Internets ist jeder Schmarrn schneller in die Welt gesetzt als einmal drüber nachgedacht. Die Jagd nach Klicks und Likes hat jegliche inhaltliche Diskussion längst verdrängt, während die eigentlichen Motive in ihrer Banalität kaum noch zu übertreffen sind. Den Direktor der sächsischen Landeszentrale für politische Bildung, Frank Richter, erreichte auf dem Höhepunkt der Pegida-Demonstrationen einmal folgende E-Mail: »Lieber Herr Richter, geben Sie sich keine Mühe, ich werde jeden Montag zu Pegida gehen, bis ich endlich einen Job und eine Frau gefunden habe.«
Was will man da noch sagen? Ich kapituliere!