Vor 50 Jahren wechselte Helmut Haller von Juventus Turin zum FC Augsburg

„Helmut Haller löste 1973 in Augsburg einen Tsunami aus!“

Vor 50 Jahren wechselte Helmut Haller von Juventus Turin zum FC Augsburg. Alwin Fink, der Kapitän der FCA-Meistermannschaft 1973/74, erinnert sich. Walter Sianos traf ihn zum Interview.

Du bist das, was man eine treue Seele nennt, denn du hast nur für den BCA/FCA gespielt.
Wenn man es genau nimmt, dann kommt noch der TSV Steppach dazu (lacht). Mit 14 habe ich mich dann aufgemacht und bin einfach mit meinem Rad zum Trainingsgelände des BCA in die Donauwörther Straße gefahren und habe den damaligen Trainer Toni Niggl gefragt, ob ich in der B1-Jugend mitspielen kann. Er hat mich angesehen und gelacht, aber anscheinend hat ihn meine Art so gefallen, dass er mich zu einem Probespiel eingeladen hat. Er hat mich in der B2 eingesetzt, ich habe fünf Tore erzielt und ich war drin! Danach gings weiter bei den B- und A-Junioren und bereits mit 18 habe ich in der 1. Mannschaft gespielt.

Du bist jetzt also seit 60 Jahren Mitglied und hast insgesamt 13 Jahre aktiv für BCA/FCA gespielt.
Es wären wohl einige Jahre mehr geworden, aber am 14. März 1976 musste ich nach dem Spiel gegen den 1. FC Saarbrücken meine Karriere beenden, eine Achillessehnenverletzung zwang mich, die Stiefel an den berühmten Nagel zu hängen. Das war bitter, denn mit 27 war ich im besten Fußballalter.

1969 fusionierten der BC Augsburg und Schwaben Augsburg zum FC Augsburg. Du hast alles hautnah miterlebt.
Es fand ein großer Umbruch statt, wir hatten 35 Mann im Kader, es war eine sehr schwere Aufgabe für den damaligen Trainer Herbert Erhardt. Die Fusion war ja sehr umstritten, aber die Erwartungen trotzdem groß. Wir sind schlecht gestartet und hatten nach fünf Spieltagen 2:8 Punkte, man kann sich natürlich das Gemaule vorstellen. Letztendlich sind wir doch in die Spur gekommen und am Ende haben uns nur vier Punkte zur Meisterschaft gefehlt. Aber der erste Grundstein war gelegt.

Die ersten drei Jahre liefen vom Zuschauerinteresse erst einmal gemächlich ab.
Das stimmt, es waren selten mehr als 3.000 Zuschauer im Stadion, meistens wesentlich weniger. Das hat sich dann in der Saison 1972/73 geändert. Am vorletzten Spieltag ging es zum Tabellenführer ESV Ingolstadt, denen ein Unentschieden gereicht hätte, aber wir gewannen vor 15.000 Zuschauern mit 2:0 und so kam es zum entscheidenden Showdown am letzten Spieltag in Augsburg gegen den FC Herzogenaurach.

Die Saison endete mit einem Happy End.
Wir haben uns das Ding nicht mehr nehmen lassen. Die Rosenau war mit 15.000 Zuschauern so gut besetzt wie seit Jahren nicht mehr, wir gewannen 3:1 und sind dann in die Regionalliga, die damals zweithöchste Liga, aufgestiegen.

Da bekam man auch die erste Kostprobe von dem, was in der Saison drauf folgen sollte.
Ja, genau so war es. Erich Liebert, der damals Präsident war, hat in der Aufstiegssaison sehr in die Mannschaft investiert. Mit Blechinger, Heigl, Obermeier und Meyer kamen gleich vier Spieler aus Ingolstadt. Alleine die zwei Letztgenannten konnten 43 Tore erzielen.

Für die Saison 1973/74 wurde dann nochmal kräftig nachgelegt.
Mit Milovan Beljin kam vom SSV Reutlingen ein neuer Trainer. Er brachte Hans Hauser, Wolfgang Haug und Klaus Vöhringer mit, von 1860 München wurden Erich Weixler und Heiner Schuhmann zurückgeholt, Herbert Höbusch wurde für viel Geld vom VfB Stuttgart verpflichtet und Edgar Schneider und Hans Jörg, der sich als absoluter Glücksfall herausstellte, wechselten vom FC Bayern München zum FCA. Alle Neuzugänge schlugen voll ein.

Ich behaupte, dass Hans Jörg nach Haller der wichtigste Spieler beim FCA in den 70er-Jahren war.
Das würde ich definitiv so unterschreiben, er war ein überragender und intelligenter Spieler und hatte auch als Mensch einen tollen Charakter. Mir kommt er beim FCA in der Nachbetrachtung tatsächlich zu kurz.

Der größte Glücksfall sollte aber noch folgen.
Irgendwann tauchte der Name Haller in der Öffentlichkeit auf. Diese Nachricht verbreitete sich in der Stadt wie ein Lauffeuer. Der große Helmut Haller sollte vom frischgebackenen italienischen Meister Juventus Turin nach Augsburg zurückkehren. Man konnte es erst gar nicht glauben, aber seine Verpflichtung erwies sich als zähe Angelegenheit, weil er auch andere Angebote hatte. Aber die Anzeichen für eine Rückkehr verdichteten sich immer mehr und irgendwann flatterte dann die Bestätigung ein: „Hemad“ kommt wieder heim zum FCA! Das war zu dieser Zeit eine echte Sensation und die ganze Stadt war elektrisiert von dieser Nachricht.

Was ging in dir vor, kanntest du Haller persönlich?
Helmut war sehr heimatverbunden, oft zu Besuch in Augsburg und da auch immer wieder im Rosenaustadion. Einmal kam er während eines Spiels in der Halbzeit in unsere Kabine und hat dem Team und mir einige Tipps gegeben, wir waren da regelrecht geehrt. Einen großen Anteil an seiner Rückkehr hatte sein Spezi Sepp Neumaier, der damals 3. Vorstand beim FCA und Pächter der Gaststätte Mohrenkopf in der August-Wessels-Straße in Oberhausen war. Haller war ein begnadeter Kartenspieler und oft dort anzutreffen. Schafkopf war eine große Leidenschaft von ihm, auch wir hatten im Team mit Schuhmann, Höbusch, Haller und mir eine eigene Kartenrunde. Wir haben bei den Auswärtsfahrten im Bus oft stundenlang gezockt.

Der Fußball in Augsburg befand sich bis 1973 im Dornröschenschlaf. Das hat sich mit einem Schlag verändert, durch die Stadt ging eine unglaubliche Welle der Euphorie. Wie hat sich Haller nach seiner Rückkehr zum ersten Mal in der Kabine präsentiert?
Einige Wochen zuvor spielte er mit Juventus gegen Ajax Amsterdam noch im Finale des Pokals der Landesmeister, der heutigen Championsleague. Das muss man sich mal vorstellen. Wir hatten erst einmal großen Respekt vor ihm. Das hat sich aber schnell normalisiert, weil er überhaupt nie den Star rausgehängt hat, ganz im Gegenteil, er präsentierte sich als absoluter Teamplayer. Zu den ersten Trainingseinheiten kamen Hunderte von Fans an die Donauwörther Straße, so etwas gab es zuvor nicht. Auch die Medien haben ein großes Ding daraus gemacht, überall wurde man angesprochen, im Job, bei den Nachbarn oder auf der Straße. Wir ahnten bereits, in welche Richtung das führen würde, aber aus der erwarteten Welle wurde ein Tsunami. Am Ende der Saison hatten wir einen sensationellen Zuschauerschnitt knapp 23.000 Menschen.

Helmut Haller war italienischer Meister und Pokalsieger, Nationalspieler und Vizeweltmeister, aber der Spielführer im Team warst du. Gab es da keine Reibungspunkte?
Überhaupt nicht. Er hat das ohne zu murren hingenommen, ich war der Kapitän und er der Stratege. Im zweiten Jahr hat man dann ihn zum Spielführer bestimmt. Ich weiß gar nicht mehr, ob das der Vorstand oder der Trainer so beschlossen hat. Ich habe es verstanden, mir hat nur gestunken, weil das vorher nicht mit mir kommuniziert wurde.

Die Saison startete fulminant, das erste Heimspiel konnte der FCA gegen den VfL Heilbronn mit 6:2 gewinnen und das Team um Trainer Beljin war auf dem Weg zur Meisterschaft nicht mehr zu stoppen.
Vorher gab es noch zwei Pokalspiele in Augsburg gegen den Karlsruher SC und die SpVgg Fürth, die wir souverän gewannen. Ich kann mich noch sehr gut an dieses erste Liga-Spiel erinnern, als wir eingelaufen sind, hatte ich Gänsehaut und war richtig nervös, aber es lief von Beginn an super für uns. Wir haben den VfR regelrecht überrannt, Haller hat auch noch ein Tor erzielt, was natürlich die Begeisterung zusätzlich angeheizt hat.

Bereits am 2. Spieltag ging es am 15.08.1973 zu 1860 München ins Olympiastadion. Ein Flutlichtspiel, 100.000 Zuschauer sollen vor Ort gewesen sein, ein Rekord für die Ewigkeit.
Das war natürlich ein ganz besonderer Tag, das konnte man bereits am Vormittag spüren. Wir fuhren am frühen Nachmittag los und die A 8 Richtung München war brechend voll. Irgendwann ging nichts mehr und wir hatten schon die Befürchtung, dass wir es nicht rechtzeitig zum Spiel schaffen würden. Ich habe noch im Spaß gesagt, dass sich keiner Sorgen machen soll, denn ohne uns werden sie schon nicht anfangen (lacht).

Hat euch dann nicht noch die Polizei ins Stadion eskortiert?
Genau, ab Odelzhausen und nur deshalb kamen wir pünktlich an. Wir haben mit 50.000 Zuschauern gerechnet, aber dass es fast 100.000 werden sollten … Nach drei Minuten ging 1860 in Führung und dann brachen alle Dämme. Vor dem Stadion standen noch Tausende von Fans, die nach dem Tor alle Barrieren durchbrachen, viele kletterten sogar auf die Stadiondächer. Es gab einige Verletzte, aber davon erfuhren wir erst nach dem Spiel. Vöhringer gelang in der 11. Minute der 1:1 Endstand, von da an war die Rosenau immer voll und eine echte Bastion. Wir haben von 17 Heimspielen 16 gewonnen, lediglich das letzte Spiel endete Unentschieden, aber da standen wir als Meister bereits fest.

Erstaunlich war, dass beim Zweitligisten FCA viele Spieler noch einem Beruf nachgingen.
Es gab einige Vollprofis im Team wie Haller oder Höbusch, die meisten aber hatten Halbtagsjobs oder waren Studenten. Ich war der einzige, der als Lehrer Vollzeit gearbeitet hat. Aber trotzdem gab es im Team deswegen keinen Neid und genau das hat uns auch stark gemacht. Ich habe ganz normal gearbeitet und am späten Nachmittag ging es zum Trainingsgelände. Als wir bei den Aufstiegsspielen mal unter der Woche bei St. Pauli gespielt haben, wurde ich anschließend mit dem Taxi zum Bahnhof gebracht, während die Mannschaft in einem schönen Hotel übernachtete. Ich fuhr mit dem Nachtzug Richtung Augsburg, wo ich um 6:30 Uhr morgens ankam. Meine Frau hat mich mit dem Auto gleich weiter in die Schule gefahren.

Von dir stammt der Satz: „Wenn man nicht mehr gewusst hat, wohin mit dem Ball, dann hat man ihn zu Helmut gespielt.“
Das stimmt. Er hat mit seinen 34 Jahren zwar manchmal auch ein Päuschen eingelegt, aber mit Vöhringer und Haug hatte er zwei kongeniale Mitspieler an seiner Seite, die ihn absicherten. Die Mannschaft ist für ihn gerannt, aber man konnte ihm die Verantwortung übergeben, weil man gewusst hat, dass er meist eine Lösung parat hatte. Er war ein echter Instinktfußballer mit unglaublichen Bewegungen, er hat auf dem Platz im Prinzip fast immer alles richtig gemacht. Ohne Haller wären wir damals niemals Meister geworden.

Der FCA wurde souverän Meister, scheiterte aber letztendlich knapp in der Aufstiegsrunde gegen St. Pauli, Tennis Borussia Berlin, Borussia Neunkirchen und RW Oberhausen.
Ja, leider. Das war natürlich nach einer so langen und erfolgreichen Saison für uns sehr enttäuschend, denn letztendlich hat uns nur ein Punkt gefehlt. Es wäre für uns alle ein Traum gewesen, Bundesliga zu spielen.

Wie war Helmut Haller?
Er war ein sehr warmherziger und uneigennütziger Mensch. Er sprühte vor Lebenslust, hatte viel Humor und war immer zu einem Schabernack bereit.

Du bist dem FCA bis zum heutigen Tag treu geblieben und auch heute noch regelmäßig bei den Heimspielen in der WWK Arena zu Gast.
Ein Leben lang FCA (lacht). Ich hatte tatsächlich die Gelegenheit, zum 1. FC Saarbrücken zu wechseln, aber für mich war das nie ein Thema. Ich bin ein Augsburger und der FCA ist der Verein meines Herzens und daran wird sich auch nie mehr etwas ändern. (ws)

Fotos: Imago, FCA-Archiv, Walter Sianos

Rubrik: 

Weitere News zum Thema

912 Fußballspiele in 25 Ländern

Verfasst von Neue Szene am 09.08.2024

Fußball zwischen Malta und den Färöer Inseln. Kai Sturzenhecker ist FCA-Fan und Groundhopper

Die Metamorphose - Vom Teeniestar zur Künstlerin

Verfasst von Neue Szene am 14.07.2024

Die Augsburger Musikerin und Produzentin Josy Vogler

Heute starten die Augsburger Sommernächte!

Verfasst von Neue Szene am 27.06.2024

Nachgefragt bei Ekkehard Schmölz - Gesamtleitung Augsburg Marketing